12. Februar 2014

Rossinis "L'italiana in Algeri" in Beijing - Ein Einblick in das aktuelle Operngeschehen in China


Kürzlich sendete 3sat die Dokumentation "Chinas neue Musentempel", eine Erkundungstour durch die zahlreichen neuen Opern- und Theaterbauten in chinesischen Mega-Citys: faszinierende Bilder moderner Architektur und Gespräche mit Sängern (u.a. Hui He) und Musikern, jungen Opernfans, chinesischen Funktionären und ausländischen Auftragnehmern. Wenn man sich die Besetzungslisten des NCPA in Beijing bei operabase ansieht, findet man dort nicht nur viele international bekannte Sänger - auch Placido Domingo ist als Nabucco mit dabei -, sondern auch bereits für die Hauptpartien einheimische Kräfte, von denen neben Hui He bisher allerdings wohl nur der Tenor Yijie Shi international bekannt sein dürfte.

Die Dokumentation "Chinas neue Musentempel" wird am Mittwoch, 19. Februar, 22:10 Uhr, auf ZDFkultur wiederholt.

Der nachfolgende Bericht von A. Rosenbusch, der zuvor im Mitteilungsblatt Nr. 61 der Deutschen Rossini Gesellschaft erschienen ist, gibt nun die seltene Gelegenheit, in einem anschaulichen Augen- und Ohrenzeugenbericht einen Einblick in das moderne Operngeschehen in China zu erhalten. Ich danke dem Verfasser und freue mich, diesen interessanten Bericht auch über den Mitgliederkreis der DRG hinaus zugänglich machen zu können. esg

 
Das NCPA in Beijing
 

Eine „Italienerin“ in Beijing
 
Anlässlich einer Reise nach China besuchte ich am 30. Nov. 2013 in Peking das NCPA (= National Center of Performance Art), um zu erfahren, welche Vorstellungen an diesem Abend auf den Bühnenbrettern von Chinas Hauptstadt angeboten wurden.
 
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Das NCPA ist ein neu errichtetes komplexes Gebäude, welches drei Theater und einen Konzertsaal unter einem Dach vereint.

  
 
Beim Betreten der riesigen Eingangshalle des Theaterkomplexes erblickte ich sogleich ein Plakat, auf dem eine Dame in amouröser Pose dargestellt war. Mit diesem im westlichen Jugendstil gehaltenen Werbeposter wurde  für Rossinis Italienerin in Algier, gespielt an vier aufeinanderfolgenden Abenden vom 28. Nov. bis zum 1. Dez. 2013, geworben.
 
Der an der Kasse ausliegende Flyer ermöglichte mir schnell die Besetzung der Rollen zu erfahren; Und siehe da, zumindest ein Name war mir vom Rossini Festival aus Bad Wildbad 2013 vertraut: Silvia Beltrami (in Bad Wildbad die Zomira in der Oper Ricciardo e Zoraide ) singt in Peking die Titelpartie der Italienerin, also die Rolle der Isabella.


In kürzester Zeit war ich im Besitz eines Tickets (7.Reihe Parkett) für die nahezu ausverkaufte Vorstellung an diesem 30.Nov.2013.


 


Foto des Autors
Die Aufführung fand im kleineren Theater statt, das Platz für 1035 Besucher bietet. In Szene gesetzt wurde die Oper von Giancarlo del Monaco, der am NCPA bereits Tosca (2011), den Fliegenden Holländer und Lohengrin (2012) sowie den Otello von Verdi (2013) inszeniert hatte. Ihm zur Seite standen William Orlandi für Bühnenbild und Kostüme sowie Jacopo Pantani für das Lichtdesign. Die musikalische Leitung lag in den Händen von Gianluca Martinenghi (zuletzt erster Gastdirigent beim Teneriffa Festival für Falstaff und Tosca), der das China NCPA Orchestra und die 18 Herren des China NCPA Chorus dirigierte.
 
Gesungen wurde italienisch, die Übertitel in englischer Sprache wurden über der Bühne, die sicherlich passende chinesische Textinterpretation wurde zu beiden Seiten der Bühne an fest installierten LED-Displays angezeigt.
 
 
Giancarlo del Monaco führte auf einer von drei Lampenreihen umsäumten Showbühne im Stil der 1920-er Jahre durch die Version einer „Opern-Revue“. Der Orchestergraben war umrahmt von einem strahlend weißen ca. 1m breiten Laufsteg, der häufig für die Rezitativpassagen meist von Isabella und Mustafa (vor allem in der PAPATACI szene) bespielt wurde.
 
Bereits während der Ouvertüre wurde das Meer in barocker Theatermanier auf sich hin und her bewegenden, die stürmischen Wellen darstellenden Holzelementen präsentiert. Ein auf einem Gestell montierter Doppeldecker mit Isabella als Pilotin und Taddeo als Flugbegleiter an Bord stürzte im Sturm der Musik mit lautloser Eleganz in die Wogen. Heranziehende Piraten-Fischer retteten beide vor dem Untergang auf Flugzeugwrackteilen ans Land.


Fotos: Wang Xiaojing / chncpa.org 


Nach dieser Vorgeschichte wandelte sich die Bühnenprojektion in die Gartenanlage von Mustafas Palast, und Song Yuanming klagte als Elvira mit ihrem klaren lyrischen Sopran über die mangelnde Liebe von Mustafa (Enzo Capuano), der zusammen mit seinem Adjudanten Haly (Wang Hexiang) in einem überlangen mindestens 3/4 der Bühnenbreite einnehmenden Oldtimer vor dem Palast vorfuhr.
 
Mit Enzo Capuanos Mustafa präsentierte sich ein Bass mit ca. dreißigjähriger Bühnenerfahrung, der die komödiantischen Effekte der Partie auch optisch geschickt nutzte und durch seinen Körpereinsatz mittels lüsternem taktbetontem Hüftkreisen in dieser Vorstellung so manchen Lacher auf sich zog. Die stimmlichen Herausforderungen bereiteten ihm dabei kaum Schwierigkeiten. Haly (Wang Hexiang) diente ihm mit seinem soliden Bariton als eifriger Adlatus.
 
Lindoro (Yijie Shi), der Geliebte von Isabella, hatte in den wenigen getragenen Phasen der Partie seine schönsten Momente, während die Koloraturpassagen an diesem Abend rau und hölzern klangen. Die eher schmächtige Statur des Sängers wurde durch einen kindlich wirkenden Matrosenanzug noch verstärkt, so dass er mit seinem bemüht sportlichen Agieren einen schlaksigen Typ darbot.
 
Dass die kleine, etwas untersetzte Silvia Beltrami ihre Auftrittsarie in einem bodenlangen, düsteren Ledermantel mit lederner Pilotenmütze zu absolvieren hatte, wirkte für eine gerettete Primadonna auf mich befremdlich.
 
Umso gelungener geriet ihre erste Zusammenkunft mit Mustafa. Der ganze Sultans-Hofstaat blickte erwartungsvoll nach rechts in die Bühnengasse, während eine elegant kostümierte Isabella von hinten links auf die Bühnenmitte zuschritt, so dass sie die Überraschung für sich verbuchen konnte. Spätestens von diesem Zeitpunkt begannen alle Sänger auf der komödiantischen Musikwelle Rossinis zu surfen.
 
Silvia Beltrami brachte mit nuanciert farbenreicher Stimme dominant zum Ausdruck, dass Sie sich nicht unterkriegen lässt, und behielt ihren Belcantostil bis zum Ende der Oper in überzeugender Weise bei. Ebenfalls in bester Belcantomanier sang Lui Songhu als Taddeo mit seinem herrlich samtigen Timbre in allen Facetten und war somit ihr großartiger Mitstreiter, der auch darstellerisch allen anderen chinesischen Sängerkollegen in dieser Aufführung weit überlegen war.
 
Vom Dirigenten des Abends, Maestro Gianluca Martinenghi, hätte ich mir etwas mehr zupackenden italienischen Drive gewünscht. So klang das hauseigene NCPA-Orchester streckenweise bloß routiniert und wenig inspiriert und ließ das witzig zwinkernde Auge Rossinis allzu oft vermissen.
 
Der Herrenchor sang präzise und umrahmte besonders in den Palastszenen kostümiert als „Haremswächter“ mit nackten Theaterbäuchen und goldenen Bikinioberteilen in resonanter Weise das Spiel der Solisten. Dass jeder der Chorsänger vom ersten ihrer Auftritte an jeder an einem roten Schal strickte, der von Mal zu Mal immer länger wurde, läßt mich mit der Hoffnung schließen, dass hier ein roter Teppich gewirkt wird, der hoffentlich dazu dient, Rossinis Opern weiterhin den Weg in den chinesischen Kulturkreis zu öffnen.
 
Als Besonderheit sei noch vermerkt, dass sich die Türschließer während der gesamten Vorstellung an den Eingängen im Zuschauerraum aufhielten. Ausgestattet mit Laserpointern richteten diese rote Laserstrahlen auf die Zuschauer, welche während der Vorstellung versuchten, Fotos von der Aufführung zu machen. Die „Übeltäter“ waren sichtlich irritiert und ließen ihr Aufnahmegerät (meist Mobilephone oder iPad) sofort wieder verschwinden. Das ist eine effektvolle aber störende Methode, die leider auch das übrige darin unerfahrene Auditorium ablenkte, bis es merkte, dass diese Aktion nicht zur Inszenierung gehört.
 
 Für alle, die an weiteren Aufführungen am NCPA in Beijing interessiert sind, hier die Homepage:

Von Gioachino Rossini wurde dort bisher gespielt:
Der Barbier von Sevilla
La Cenerentola
Die Italienerin in Algier
 
A. Rosenbusch