24. Januar 2013

Michael Aspinall - Gesangskunst im Gewand der Parodie

Wer Michael Aspinall nicht kennt, wird mit dem folgenden Video eine Überraschung erleben, und wer ihn kennt, aber dieses Video noch nicht, wird sich freuen, ihn einmal anders zu sehen als bei seinen Konzerten.



Das Video stammt aus dem Jahr 1970, als Michael Aspinall als Gast in der TV-Sendung Babau von Paolo Poli auftrat. Ausgestrahlt wurde sie als "Babau '70" allerdings erst 1976, - bis dahin hatte der italienische Fernsehsender RAI die medienkritische Produktion - bei YouTube gibt es davon zwölf weitere Videos - unter Verschluss gehalten:

"Nella primavera del 1970 Poli, con l’ausilio del regista Vito Molinari (con cui aveva lavorato alle operette televisive dei primi anni Sessanta) e complice Ida Omboni, negli studi di Torino registra Babau, un’indagine in quattro puntate sulle caratteristiche negative dell’italiano medio (mammismo, conformismo, arrivismo, intellettualismo) e summa del repertorio teatrale della sua attività precedente. Ma in autunno arriva da Roma il diktat di bloccare la messa in onda perché “giudicato inopportuno e spregiudicato”. Per sei lunghi anni il programma viene congelato per essere trasmesso nella Rai riformata nell’agosto 1976, perso nel palinsesto estivo. A monito del ritardo nella messa in onda, il titolo diventa Babau ’70 . "

Schon lange, bevor es Internet und YouTube gab, war mir Michael Aspinall ein Begriff. Anfang der 1980er Jahre erstand ich diese LP "Die Kunst der Koloratur", und sie wurde eine meiner Lieblingsplatten. Viele, viele Jahre später konnte ich ihm persönlich davon erzählen, das war 2006 beim Festival "Rossini in Wildbad", wo er - zusammen mit Gioacchino Zarrelli - im Kurtheater ein Konzert gab und ich ihn auch beim Gesangsunterricht als Gasthörerin erleben durfte.

 



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Die zuvor 1977/78 in Großbritannien unter dem Titel "The Surprising Soprano" erschienene LP enthält drei weitere Tracks.

Als ich diese LP entdeckte und sofort zugriff, hatte ich gerade angefangen, mich mit historischen Sängern zu beschäftigen, und hatte bereits viele auf LP überspielte akustische Aufnahmen gehört, die trotz der technischen Beschränktheit der Trichtertechnik einen Eindruck von Stil und gesangstechnischem Können der damaligen Stars vermittelten, die noch in der Belcantotechnik des 19. Jahrhunderts ausgebildet waren, aber auch die neuen veristischen Opern sangen und sich zudem heute unvorstellbare Freiheiten und Übertreibungen erlaubten. All dies bringt Michael Aspinall auf den Punkt, seine Parodien sind bester Anhörungsunterricht und ein Gewinn auch für all diejenigen, die sich - genau wie ich - sonst mit Opern-Parodien (z. B. von der mit zweifelhaften Gesangskünsten aufwartenden Vera Galupe Borszkh) nicht anfreunden können.

Jürgen Kesting beschreibt die Faszination von Michael Aspinalls Aufnahmen in seinem Kommentar auf dem Plattencover anschaulich und voller Begeisterung, - hier ein Auszug:
".... Der Verfasser dieser Zeilen - bei Humor, noch einmal, gilt ja nur das Ehrenwort - hat vor dem Schreiben die Platten einige Male ge­hört. Zunächst mit verschiedenen Graden des Amüsements, dann immer mehr mit einer leisen Betroffenheit. Mein Himmel, sagte es in mir, der muß ja vernarrt sein in die Kunst des Singens. Der zeigt ja mit jedem Beispiel, was eigentlich gemeint ist. Der weiß ja, wie man einen Bogen "timen", einen Triller bilden, ein Rubato anwen­den muß. Der kann ja singen! Der zeigt ja in der Parodie sowohl, was die Diven gekonnt, als auch was die Soprane im Verismo für Übertreibungen sich leisten. Ein Zufall (oder war es doch die Erinnerung?) ließ mich zu einem Album von Nellie Melba greifen. Und da stand es: "Nellie Melba and the ,Ideal voice of song''', von Michael Aspinall. Da stand der beste, der profundeste, der kennt­nisreichste Kommentar, der sich über Vokalkunst nur denken läßt, eine Studie von einer Kennerschaft, wie sie offenbar vor allem in angelsächsischen Ländern noch gedeiht. Da wurden Nuancen aufgezeigt, die auf dieser Platte im Zustand der Verfremdung, der Entstellung zur Kenntlichkeit erscheinen. Da wirkt in der Parodie noch eine Klangphantasie, eine technische Versiertheit, die so manchem großen Sänger fehlt, so manchen auszeichnen würde. .... Neben seinem Hauptberuf als Primadonna ist Aspinall Experte für die Geschichte der Gesangs­kunst. Er hat in Italien und England Recitals berühmter Sänger vor­gestellt, neben Aufsätzen über die Melba und Adelina Patti eine Studie über Verzierungen bei Rossini geschrieben. Für verschie­dene Sänger, darunter Montserrat Caballe, hat Aspinall Kadenzen komponiert. ... Diese Platte ist ohne Voraussetzungen schwer zu hören. Sie verlangt nach dem kombinierenden, dem wissenden Hörer. Sie steckt voller Anspielungen und direkter 'Zitate', deren Identifizierung erst jene befreiende Wirkung des Lachens zeitigt. Vielleicht wird diese Platte einmal bewundert werden als Zeugnis der Bewunde­rung für eine Kunst, die oft parodistisch geworden ist, wo sie sich ernst gibt, und in Parodie ihre Wünsche findet."

Der Vortrag der Arie aus "Linda di Chamounix" im obigen Video mit einem sich steigernden Feuerwerk von Fiorituren und Trillern vom Feinsten ist ein Musterbeispiel! Und wie sich Primadonnen-Original und Parodie anhören, lässt sich gut an diesen Beispielen vergleichen:
Michael Aspinall und Primadonnen der Vergangenheit
als Verdis La Traviata






Michael Aspinall, geboren am 31. Oktober 1939 in Großbritannien und seit 1966 wohnhaft in Italien, ist als Bariton ausgebildeter Sänger (und im Falsett eher Mezzosopran als Sopran) und ein renommierter Musikologe. In den Jahrzehnten, die seit Kestings Kommentar vergangen sind, hat Michael Aspinall zahlreiche weitere musikwissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, darunter eine Neuausgabe von Nicola Vaccajs "Metodo pratico di canto italiano per camera" von 1832, - die PDF-Datei mit der ausführlichen Einleitung von Michael Aspinall steht leider nicht mehr im Internet. Nachzulesen im Internet und wegen der Rossiniaufnahmen von speziellem Interesse sind aber seine detailreichen Ausführungen zu Aufnahmen von Conchita Supervia, die in einer vierteiligen Gesamtausgabe bei Marston Records erschienen sind (Liner Notes zu Volume II und zu Supervias Carmen in Volume III). Weitere Details zum Leben und Wirken von Michael Aspinall finden sich hier und in diesem Lebenslauf.



Michael Aspinall gastierte mehrmals im Berliner Kleinen Theater,
z. B. im November 1980, worüber die Zeitung "Der Abend" berichtete:
  


Über seinen Weg vom "seriösen" Bariton zur parodierenden Primadonna
berichtet Michael Aspinall anschaulich in diesem Interview:

Zum Vergrößern bitte ins Bild klicken


Ebenfalls im November 1980 saß Michael Aspinall
Herrn Dr. Wolfgang Etterich Modell für ein Porträt:

© Dr. Wolfgang Etterich
(Öl / Ölkreide - 65 x 55 cm)

 Aus dieser Zeit stammen auch diese Rollenfotos:

Pacini - Luisella
Mozart - Die Zauberflöte
Ponchielli - La Gioconda (mit Karen Christenfeld)
Bellini - Norma (mit Karen Christenfeld)


Und so habe ich Michael Aspinall 2006 in Bad Wildbad kennengelernt:


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 Weitere Videos vom Konzert in der Town Hall New York 1987:





Nachtrag:
Inzwischen gibt es das New Yorker Konzert komplett als Video:


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Dies ist die überarbeitete Fassung des Posts vom 21. November 2012,
ergänzt insbesondere um umfangreiches Bildmaterial, das ich
kürzlich erhalten habe und das erstmalig im Internet zu sehen ist.