30. April 2012

Rossini im Repertoire der Hamburgischen Staatsoper - Ein Rückblick auf die Spielzeit 2011/2012


Rossini - Il barbiere di Siviglia
Vorstellungen vom 17. Januar, 13. und 17. April 2012
(mit Rückschau auf die Vorstellungen am 19. / 22. Juni 2011)

In fast jeder Serie des "Barbiere di Siviglia" erweckt die neue Besetzung mindestens einer Partie bei mir Neugier, und so war ich diese Spielzeit wieder dreimal dabei.  Es waren die Vorstellungen Nr. 191, 193 und 194 seit der Premiere am 29. Dezember 1976, eine Inszenierung, die ich inzwischen auch bereits 47 mal gesehen habe, mit Generationen von Rosinas, Almavivas und Figaros, - und das mit den Generationen kann man durchaus wörtlich nehmen, standen doch am 3. Dezember 1983 Renate Behle - als Einspringerin aus (wenn ich recht erinnere) Hannover herbeigeeilt - als Rosina und am 12. Februar 2010 ihr Sohn Daniel Behle als Almaviva in dieser Inszenierung auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper. Aber auch nach so vielen Jahrzehnten mag ich die Inszenierung immer noch gerne. Nächste Spielzeit wird es leider keinen Barbiere geben, da wird man sich mit einigen Vorstellungen von "La Cenerentola" begnügen müssen, - mehr gibt es nicht von Rossini!

Für mich persönlich ist die Besetzung des Conte Almaviva von größtem Interesse, - der war schließlich bei der Uraufführung die Titelfigur ("Almaviva o sia L'inutile precauzione"), ein Thema, mit dem sich Saverio Lamacchia ausführlich befasst hat (s. Lamacchia - Der wahre Figaro).  Die für den damaligen Startenor Manuel Garcia geschriebene Musik ist ein guter Prüfstein für die Qualitäten der heutigen wirklichen oder nur so genannten Belcanto-Tenöre, - auch wenn die große Arie "Cessa di più resistere" in Hamburg  - außer von Rockwell Blake im Januar 1998 - nicht gesungen wird.

Foto: Homepage
In der Aufführung am 17. Januar 2012 war Juan Francisco Gatell der Conte Almaviva, mit vielen Vorschusslorbeeren für sein Hamburg-Debüt angekündigt, die er aber  - abgesehen von seinem blendenden Aussehen - nicht voll bestätigen konnte: hübsches Timbre, aber ziemlich einförmige Darbietung. Für mich also keine herausragende Entdeckung, aber umso größer die freudige Überraschung, die das neue Ensemblemitglied Rebecca Jo Loeb als Rosina bot. Herausragend wie immer Renato Girolami als Bartolo, Adrian Sâmpetrean als Don Basilio - abgesehen von der noch entwicklungsbedürftigen Tiefe - rollendeckend. Und Viktor Rud, der Sänger des Figaro? Ein derartiges Geschummel bei den Koloraturen habe ich selten erlebt, - in Rossini-Partien leider keine gute Besetzung, wie auch schon in "La Cenerentola" zu hören gewesen war!

Bei der Vorstellung am 13. April 2012 gab es - ohne Angabe von Gründen - gleich drei Umbesetzungen: Lawrence Brownlee für José Manuel Zapata, Rodion Pogossov für George Petean und Tara Erraught für Michaela Selinger. Don Bartolo war wieder Renato Girolami, Don Basilio Tigran Martirossian, Katja Pieweck als Berta krönte das erste Finale mit strahlenden Tönen.

Foto: Hamburgische Staatsoper

Lawrence Brownlee hatte in Hamburg bereits früher den Almaviva gesungen, - damals für mich etwas enttäuschend, da zu gradlinig ohne das gewohnte Raffinement -, aber dieses Mal legte er sich mächtig ins Zeug, insbesondere auch darstellerisch zog er zum Vergnügen des Publikums alle Register. Rodion Pogossov, schon als Posa in Verdis "Don Carlos" und kürzlich bei der Übertragung des "Barbiere di Siviglia" aus der Metropolitan Opera New York positiv aufgefallen, sang und spielte einen agilen Figaro.

Foto: Screenshot YouTube-Video
Beide Herren wirkten geradezu animiert durch die vorzügliche Leistung der charmanten Tara Erraught, die eine Rosina der Extra-Klasse sang und ihr auch darstellerisch ein eigenes selbstbewusstes Profil gab. Auf sie war ich besonders neugierig gewesen, hatte ich sie doch schon als Einspringerin in "La Cenerentola" hören können, und ich wurde nicht enttäuscht, - im Gegenteil! Das Ganze hat mir so gut gefallen, dass ich mir sofort eine Karte auch für die Vorstellung am 17. April besorgte. Leider schien Tara Erraught etwas indisponiert und sang vorsichtiger.

Nicholas Carter schlug flotte Tempi an, achtete aber dennoch auf Feinheiten der Partitur und dirigierte ausgesprochen sängerfreundlich.

Um noch einmal auf den Conte Almaviva zurückzukommen: Keiner der beiden genannten Rollenvertreter konnte an Alexey Kudrya (mehr zu diesem Sänger s. hier im Blog) heranreichen, den ich zum Ende der vorigen Spielzeit am 19. und 22. Juni 2011 gehört hatte. Ich habe lange nicht mehr ein solch schmachtendes “Se il mio nome” gehört, Effekte allein erzielt mit Mitteln des Belcanto-Gesangs. Dazu eine attraktive Bühnenerscheinung und ausgefeiltes lebhaftes Spiel mit vielen kleinen Gesten. Sehr schade, dass er nicht auch die große Arie gesungen hat! Es war aber auch sonst eine ausgezeichnete Aufführung, eine der besten des Barbiere, die ich in Jahrzehnten gehört habe. Vesselina Kasarova war – im Vergleich zu der Aufführung im September 2010 (über die ich hier berichtet habe) – wie ausgewechselt, sie hatte erkennbar Freude, mit Partnern auf weitgehend gleichem Niveau zu singen und zu spielen, ganz ohne die von mir im September 2010 beklagten Manierismen bei der szenischen Aktion. Auch Donato di Stefano (Bartolo) gab ein erfreuliches Hamburg-Debüt. Dalibor Jenis lieferte zwar für das Ohr schwer erträgliche gebellte Koloraturen, machte dies aber mit seinem szenischen Einsatz bald wieder vergessen, wenn sie überstanden waren. Alfred Eschwé dirigierte schwungvoll und ausgesprochen sängerfreundlich.


Rossini - La Cenerentola
Vorstellungen vom 28. September und 9. Dezember 2011

In der Premiere am 8. Mai 2011 hatten unter der musikalischen Leitung von Antonello Allemandi Hamburger Publikumsliebling Maite Beaumont, Maxim Mironov, Enzo Capuano und Viktor Rud die Hauptpartien gesungen, - hier das Video der Hamburgischen Staatsoper mit dieser Besetzung:
 

 

 Premierenbericht  Hamburg sucht das Superputtel (Die Welt 10.5.2011)


In der Spielzeit 2011/2012 war für die erste Serie ursprünglich Kate Aldrich als Angelina vorgesehen, für sie sprang dann aber am 28. September 2011 Tara Erraugth ein, eine wahre Entdeckung, die eine wunderbare Cenerentola sang. Maxim Mironov wiederholte seinen stilvoll gesungenen Don Ramiro, Enzo Capuano war wieder ein guter Don Magnifico. Abgesehen von der sängerisch nicht zufriedenstellenden Leistung von Viktor Rud als Dandini war es unter dem schwungvollen Dirigat von Alessandro De Marchi eine gelungene Aufführung.

Dies kann von der Vorstellung am 9. Dezember 2011 leider nicht gesagt werden. Den Don Ramiro sang nun Alek Shrader, unauffällig in Timbre und Darstellung. Viktor Rud bewies wieder, dass ihm Koloraturen gar nicht liegen, und die Cenerentola von Maria Markina war - ich kann es nicht beschönigen - eine ziemliche Zumutung (so wie es auch ihre zweimal gehörte Zerlina im "Don Giovanni" war, - es geht also nicht um die eher zufällige Form eines Abends): eine ziemlich harte und unruhige Stimme, die die Grundvoraussetzung für Belcantogesang nicht erfüllen kann, nämlich eine gleichmäßige, von ruhigem Atem getragene Stimmgebung. Wie das geht, demonstrierte Renato Girolami, -  wie immer eine reine Wohltat, ihm zuhören zu dürfen. Was aus dem Orchestergraben kam, war dieses Mal nicht der von Alessandro De Marchi gewohnte Rossini-Drive, sondern eher Ausdruck des Bemühens, die Sache irgendwie zusammen zu halten und über die Runden zu bringen, so jedenfalls mein persönliches Empfinden.

Bei einem derart unbefriedigenden musikalischen Eindruck gewann die bunte und aktionsreiche  Inszenierung ein derartiges Übergewicht, dass ich meinte, in einer großen Bühnenshow mit Musikbegleitung zu sein. Ich kann allerdings nur den ersten Akt beurteilen, denn in der Pause bin ich gegangen, - etwas, was ich äußerst selten tue und schon gar nicht bei einer Rossini-Oper.

Um zu den schöneren Erinnerungen zurückzukehren, hier abschließend Tara Erraught:
Finalrondo der Cenerentola
(Beginn bei 2:20)