21. Oktober 2010

Belcanto-Wochen an der Hamburgischen Staatsoper: "Lucia di Lammermoor"


Foto: esg (Screenshot vom Video)
Am 17. September war die Opernwelt wieder in schönster Ordnung, zumindest was die musikalische Seite anbelangt: Lucia di Lammermoor von Donizetti. Das große Plus dieser Neuproduktion aus Januar 2010 ist, dass – anders als bei der arg amputierten Version der Inszenierung von 1998 - die absolut ungekürzte Fassung gespielt wird, also auch jede Cabaletta mit Wiederholung, und ein besonderer musikalischer Genuss ist es, wenn man dann noch Sänger hat, die bei der Wiederholung den Gesetzen des Belcanto entsprechend Variationen und Verzierungen singen können. Diese Freude machten uns in großem Maße Elena Mosuc in der Titelpartie und Piotr Beczala als Edgardo, beide stimmlich in Höchstform. Artur Rucinski präsentierte in der Partie des Enrico beeindruckendes Stimmmaterial, und Alexander Tsymbalyuk sang einen balsamischen Raimondo, dessen Partie in dieser ungestrichenen Fassung mit zwei Arien bedeutend gewichtiger ist als gewohnt. Hervorragend war Dovlet Nurgeldiyev als Arturo, den er sehr klangschön und mit einem wunderbaren Legato sang. Dieser junge Tenor ist nun aus dem Opernstudio ins Ensemble übernommen worden, sang bereits letzte Spielzeit einen sehr guten Don Ottavio und wird diese Spielzeit Alfredo, Lenski und Cassio singen. Aufhorchen ließ auch der dritte Tenor des Abends, Paulo Paolillo als Normanno, seit Beginn dieser Spielzeit neu im Opernstudio. Ann-Beth Solvang sang Alisa. Das Dirigat von Simone Young war erfreulicher als bei der Premiere.

Es ist auch noch über ein besonderes und einmaliges Vorkommnis bei dieser Aufführung zu berichten, das Piotr Beczala und Elena Mosuc zu verdanken ist, die – wie ich vermuten möchte, eigenmächtig – die Inszenierung in dieser letzten von ihnen gesungenen Aufführung um eine überraschende szenische Einlage bereicherten. Besucher der beiden vorangegangenen Aufführungen dieser Serie wussten nichts davon zu berichten, und auch in der Premiere hatte es diesen Gag nicht gegeben. Ich habe Vergleichbares noch niemals erlebt! Zum Verständnis kurz etwas zur Inszenierung: Nach den Vorstellungen der Regisseurin Sandra Leupold erwachen nachts im Fundus eines Opernhauses die Geister der vom Komponisten zum Singen erfundenen Figuren, sie will uns zeigen, was die Geister dieser Figuren machen, wenn sie die Körper ihrer Sänger nachts verlassen haben. Und was machen sie dann? Offenbar spielen sie „Lucia di Lammermoor“, in ziemlich düsterer Szenerie und die Chormitglieder und einige der Solisten in historischen Kostümen, Lucia und ihr Bruder Enrico seltsamerweise aber in Kleidung von heute, - er im Rautenpullunder und sie zunächst in einem undefinierbaren verknauschten Etwas von weißem Schlabber-Hosenanzug (oder Pyjama?), später dann in einem dunklen kurzen und engen Kleid mit Wollstrümpfen ebenfalls im groben Rautenmuster (das weiße Brautkleid wird später drübergezogen). Edgardo und Raimondo dagegen haben prachtvolle historische Kostüme und sehen hinreißend aus. Ein erheiternder Höhepunkt – und um den geht es jetzt speziell – ist das Liebesduett im ersten Akt. Lucia zieht von der Hinterbühne ein Podest mit zwei Palmen nach vorne (da scheinen sich im Fundus auch die Kulissen zur „Afrikanerin“ oder einer anderen in exotischen Gefilden spielenden Oper zu befinden), Lucia und Edgardo erklimmen jeder den Wipfel einer Palme und singen schaukelnd und sich wiegend ihren Traum von einer glücklichen Zukunft, eben die Utopie auf einer Trauminsel. So taten es denn auch Elena Mosuc und Piotr Beczala, sie schnallte sich an für möglichst weitgreifende Schwingungen, er mal rauf auf die Palme, mal wieder runter und wieder rauf, und – jetzt kommt es endlich! – er hat auf einmal – auch vom 4. Rang aus nicht zu übersehen - etwas in der ausgestreckten Hand. Das kann doch nicht wahr sein! Aber ein Blick durchs Opernglas bestätigt es: Edgardo hat eine Banane in der Hand, die er schält und seiner glücklich lächelnden Lucia hinhält, - „Ich Tarzan, du Jane“? Elena Mosuc hatte übrigens auch eine (ungeöffnete) Banane in der Hand, was jedoch nur bei genauerem Hinsehen zu bemerken war, aber Piotr Beczala hatte offensichtlich keine Hemmungen, sich über die Inszenierung lustig zu machen. Wahrscheinlich werden die meisten Zuschauer diese Protestaktion aber gar nicht als solche wahrgenommen, sondern die Banane für einen Teil dieser unsinnigen Inszenierung gehalten haben, die noch weitere skurrile Szenen zu bieten hat, z. B. eine veritable Kissenschlacht...! Frau Young im Orchestergraben wird Beczalas Aktion aber sicherlich richtig verstanden haben.

Einen kleinen Eindruck von der Inszenierung mit Palmen (aber ohne Banane) vermittelt dieses Video:






Besuchte Vorstellung: 17. Sept. 2010

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