15. Februar 2012

Deutsche Oper Berlin: Alberto Zedda dirigiert Rossinis "Tancredi"

So verdienstvoll es ist, mit "Tancredi" eine von Rossinis ernsten Opern in einer szenischen Produktion auf die Bühne zu bringen, so fraglich erscheint mir doch die Wahl einer Inszenierung, die bestens geeignet ist, alle Vorurteile gegenüber der Oper im Allgemeinen und gegen Rossinis ernste Opern im Besonderen zu bestätigen.



Pesaro - Piazza del popolo

Ich wusste, was mich szenisch erwartete, hatte ich doch diese Inszenierung von Rossinis "Tancredi" bereits 2004 in Pesaro beim Rossini Opera Festival (ROF) gesehen, und das war wiederum eine Wiederaufnahme der Produktion des ROF von 1999 gewesen. Nun also war die auch andernorts schon gezeigte Produktion an der Deutschen Oper Berlin angekommen. Die Bauten links und rechts auf der Bühne erinnerten mich sofort wieder irgendwie an das Rathaus an der Piazza del popolo in Pesaro, vielleicht wirklich der Ort der Inspiration für Pier Luigi Pizzi. Ansonsten ist von Inspiration bei seiner Inszenierung allerdings nicht viel zu merken. Personenregie findet so gut wie nicht statt, vorherrschendes Motto: "Hier steh ich und hier singe ich". Dazu vorhersehbare Standardgebärden als Ausdruck der wechselnden Befindlichkeiten. Die Aktionen des Chors entbehren nicht einer gewissen Komik: Aufmarsch - Schwerter recken - Abmarsch! "Die Welt" fasst zusammen: "Regie wie eine Karikatur".



Foto: Palau de les arts


Umso farbenreicher und mitreißender war, was aus dem Orchestergraben zu hören war. Maestro Alberto Zedda entlockte dem Orchester der DOB einen Reichtum an musikalischen Farben und brachte alle Schönheiten der Musik Rossinis zur Geltung, dass man nur staunen und beglückt zuhören konnte.


Patrizia Ciofi stürzte sich koloratur- und höhensicher in die Partie der leidgerüften Amenaide; sie war die Einzige, der es gelang, sich darstellerisch gegen die statische Regie zu behaupten und auch durch Bühnenpräsenz zu faszinieren. Demgegenüber war Hadar Halévy in der Titelpartie für mich eine herbe Enttäuschung; die Töne traf sie natürlich, aber ihrem gleichförmigen Vortrag fehlten Differenzierung und der im Rossini-Fach von Spitzensängerinnen zu erwartende Reichtum an Verzierungen, selbst das Paradestück "Di tanti palpiti" wirkte nebensächlich. Entsprechendes gilt für den durchaus schön timbrierten Tenor Alexey Dolgov als Amenaides Vater Argirio; er zeigte weder die Persönlichkeit für die Vaterrolle, noch ist er deren stimmlichen Anforderungen voll gewachsen, obwohl er in der gewählten Fassung nicht einmal die große Arie im 2. Akt zu singen hatte. Ich würde ihn durchaus gerne mal als Almaviva oder als Ramiro hören, - für den dramatischen Rossini fehlt ihm m. E. noch die nötige Durchschlagskraft. Ansprechende Leistungen boten Krzysztof Szumanski (Orbazzano), Clémentine Margaine (Isaura) und Heidi Stober (Roggiero). Der Chor konnte sich ganz aufs Singen konzentrieren und tat das prächtig.

Wie in Pesaro wurde die für Ferrara komponierte Fassung gespielt, die mit dem Tod Tancredis endet, und nicht die in Venedig zwei Monate zuvor uraufgeführte Version mit Happy End. Die Theater in Venedig forderten damals tatsächlich für alle Opern einen glücklichen Ausgang (lieto fine), und auch Rossini musste sich dem beugen und seine Opern umschreiben, wenn sie auch in Venedig aufgeführt werden sollten. So blieb Desdemona in der venezianischen Fassung des "Otello" am Leben, und beim "Maometto II" ging es natürlich nicht an, dass die Venezianer mitansehen sollten, wie ihre Truppen einem Maometto II und seinen Muselmanen unterlagen; das wurde einfach zugunsten der Venezianer umgedreht, und damit war die geeignete Grundlage für einen glücklichen Ausgang der Geschichte geschaffen.

Die Sterbeszene Tancredis in der Fassung für Ferrara ist m. E. eine der ganz großen Leistungen Rossinis; denn da wird nicht wie z. B. bei Verdi -  man denke nur an die vielen Addios in "Un ballo in maschera" - oder bei Donizetti unter Absingen einer großen Arie gestorben. Nicht einmal ein wehklagender Chor ist auf der Bühne, Tancredi und Amenaide sind am Schluss ganz alleine, und mit verhauchender Stimme stammelt Tancredi seine letzten Worte, wie auch die Musik aus dem Orchestergraben immer leiser bis zur totalen Stille verklingt. Ergreifend und einzigartig!

Besuchte Aufführung: 4. Februar 2012

Szenenfotos: Deutsche Oper Berlin

Weitere Berichte in der Presseschau.

Bei YouTube gibt es in dieser Inszenierung von Pizzi eine Gesamtaufnahme des Tancredi aus Rom (1. Akt  -  2. Akt) sowie zahlreiche Auszüge einer Aufführung in Bologna (Teil 1).