13. November 2008

Javier Camarena und Charles Castronovo - Zwei Belcanto-Tenöre zu Gast in Hamburg

Es war schon eine etwas seltsame Veranstaltung – das von Marko Letonja dirigierte Konzert der Hamburger Symphoniker „Die Kunst des Belcanto“ am 6. November 2008 im Großen Saal der Laeiszhalle in Hamburg, zu dem als Solisten Jane Archibald (Sopran), Javier Camarena (Tenor) und Christoph Hartmann (Oboe) aufgeboten waren.

Zur Einstimmung war auf der Internetseite der Hamburger Symphoniker in schön gesetzten Worten zu lesen:

“Belcanto bedeutet ‚Schöngesang’ und dann wieder auch nicht. Belcanto ist Repertoire. Belcanto ist aber auch eine Technik, eine Attitüde. Belcanto ist eine geheimnisvolle Welt, die nach Zitronen duftet und so faszinierend schimmert, wie das Wasser in den Grotten der Amalfiküste, eine Welt, die wie der Ruf "Bravo" klingt und wie ein hohes C oder ein noch höheres Es. All das entdecken Sie an diesem Abend zusammen mit den fabelhaften Künstlern, die wir Ihnen präsentieren.“
So blumig und fabelhaft war die Realität dann allerdings nicht. Die Moderation durch Hans-Jürgen Schatz entpuppte sich als Verlesen längerer belehrender Texte, die eher ins Programmheft gehört hätten, in dem aber außer Biographien der Mitwirkenden überhaupt nichts zum Nachlesen stand. Aber vielleicht benötigt das belcantoentwöhnte und auch nicht sehr zahlreich erschienene Hamburger Publikum einen solchen persönlichen Wegweiser durch terra incognita.

Auf dem Programm standen populäre Arien und Duette von Händel, Rossini, Donizetti, Bellini und – etwas überraschend - auch von Verdi (Duett aus„Rigoletto“), - also Belcanto im doch eher allgemeineren Sinne. Den Gesangsdarbietungen der Sopranistin Jane Archibald fehlte leider so ziemlich alles, was Belcantogesang ausmacht, - da gab es keine messa di voce, kein echtes Legato, keine Auszierungen durch Appoggiaturen und Fiorituren, es reichte gerade mal zu den vorgeschriebenen Koloraturen. Mit den Regeln der Belcanto-Technik ist dagegen der Tenor Javier Camarena hörbar vertraut, der insbesondere mit der Arie des Ramiro aus Rossinis „La Cenerentola“ und der Arie des Tonio aus Donizettis „La Fille du Régiment“ begeisterte und die Duette dominierte, auch was die szenische Präsenz anbelangte.

Von ihm hätte man gerne mehr gehört, aber überraschenderweise bestritt der Oboist einen großen Teil des Programms mit drei Instrumentalstücken für Oboe und Orchester von Pasculli. Wer ist Pasculli? Nie gehört, ich jedenfalls nicht! Im Programmheft war übrigens – wie bei den anderen Komponisten auch - nicht einmal der Vorname angegeben, den und weitere Details erfuhr man erst durch Herrn Schatz und – da auf Mitschreiben nicht eingerichtet - musste man sich das dann zuhause irgendwo heraussuchen. Laut Wikipedia war Antonio Pasculli, geboren 1842, ein im ausgehenden 19. Jahrhundert in Italien sehr populärer Oboist, der Fantasien für Oboe über Themen aus Opern insbesondere von Bellini, Donizetti, Rossini und Verdi komponierte und aufführte.

Lohnend war der Abend wegen der Begegnung mit Javier Camarena, der - wie seine Biografie zeigt – bereits auf dem Weg nach ganz oben ist und den man hoffentlich auch bald einmal an der Hamburgischen Staatsoper erleben kann.

Hier ein Video mit der Arie des Ramiro aus "La Cenerentola" (Brüssel - Oktober 2008):




Die Hamburger Symphoniker waren auch das Orchester der Repertoireaufführung von Donizettis „L’elisir d’amore“ in der Hamburgischen Staatsoper am 31. Oktober 2008. Den Nemorino sang Charles Castronovo (Biografie). Ich hatte ihn bereits einmal im November 2005 als Alfredo in „La Traviata“ gehört, wovon mir aber – abgesehen von seiner attraktiven Erscheinung – nichts Besonderes in Erinnerung geblieben war. Diesmal aber war er wirklich großartig. Das Timbre ist zwar nicht einzigartig, aber seine Gesangstechnik ist Belcanto pur. Einen derart gekonnten Einsatz der voix mixte mit Crescendi und Decrescendi (messa di voce) habe ich lange nicht mehr - jedenfalls nicht in Hamburg - hören dürfen, was mich denn auch – und nicht nur mich! – zu Bravorufen hingerissen hat. Auch seine szenische Darstellung war ein großes Vergnügen.

Hier ein Video der Arie des Nemorino aus dem Jahre 2006 (Konzert in Moskau) - wenn auch noch etwas weniger ausgefeilt als in der Hamburger Vorstellung:



Anna Samuil, die als Adina eingesprungen war, dürfte diesem Repertoire schon fast entwachsen sein, so sehr scheint sich die Stimme verändert zu haben. Ich hatte sie im November 2006 bereits einmal in dieser Partie gehört und war begeistert. Diesmal tat ihr Gesang fast weh, – zu laut und zu hart und zu ungenau im Tonansatz, aber als sie nach der Pause die Stimme etwas zurücknahm, konnte ich mich doch wieder an Verzierungen erfreuen, die an die frühere Aufführung erinnerten. Die Solisten aus dem Hamburger Ensemble – Tigran Martirossian als Dulcamara und Moritz Gogg als Belcore - boten Einsatz, Spielfreude und soliden Gesang. Das Dirigat von Florian Csizmadia bewies eine eingehende Beschäftigung mit der Partitur und sorgfältige Probenarbeit, - abgesehen von einigen für meinen Geschmack zu lauten Tutti hat alles gestimmt: Tempi, Freiraum für die Sänger und Balance der Instrumente, wunderbar waren viele Streicherpassagen, - es war ein „beschwingter“ Abend.